Wer vom Adjektiv «farbenfroh» ableitet, dass Farben immer und überall alle Betrachter froh machen, der ist auf dem Holzweg. Von einem Fall, der sich genau gegensätzlich zeigt, wurde kürzlich aus einer grösseren Schweizer Gemeinde berichtet. Dort sanierte ein Wohneigentümer die Gebäudehülle seines Hauses. So weit, so vorbildlich. Dann aber erdreistete er sich offenbar, auf der Fassade anstatt des vorherigen gelblichen Weisstons nun weisse Farbe mit leichtem Blauton auftragen zu lassen und anstelle der bisher blauen Läden neu solche in Weiss zu bestellen. Dies vermochte jemandem in der Nachbarschaft nicht zu gefallen, und es kam zu einer Anzeige. Die dadurch in Marsch gesetzten Behörden rückten zur Kontrolle an. Diagnose: Die neu gewählte Farbe sei für das rund hundertjährige, als erhaltenswert eingestufte Haus «zu modern» und folglich nicht erwünscht.
Geht es um den Schutz des Eigentums vor Beschädigung, gelten tolerantere Massstäbe
Weder ein nachgereichtes Planänderungsgesuch noch der deutliche Sukkurs aus der Nachbarschaft für die neue Farbgebung vermochten die Situation zu entschärfen. Nach der Gemeinde urteilte laut Bericht auch der Kanton, dass sich die leicht bläuliche und dadurch kalt wirkende Farbe nicht sorgfältig genug ins Ortsbild einfüge. Folge für den Hauseigentümer: Die Auferlegung der Wiederherstellung der früheren Farbgebung, inklusive Frist, bis wann das Ganze zu erfolgen hat. Nach den wahrscheinlich nicht geringen Investitionskosten für die Sanierung muss der Eigentümer nun nochmals einen fünfstelligen Betrag für die «Rückfärbung» und die Verfahrensgebühren aufwerfen.
Der berühmte, auch als «Maler-Poet» bezeichnete Marc Chagall stellte einst fest: «Alle Farben sind die Freunde ihrer Nachbarn und die Liebschaften ihrer Gegensätze.» Wie er sich doch geirrt hat. Das vorliegende Beispiel zeigt, dass beileibe nicht alle Farben Freunde der Nachbarn sind. Da hat es Friedrich Schiller in seinem «Wilhelm Tell» genauer getroffen mit den Worten: «Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.» Dieser Fall zeigt, wo die offenbar dringendsten Probleme im Lande Schweiz liegen. Und er sorgt auch für Beruhigung, indem wir für die Problembekämpfung über wirksame Kontrollen, klare Vorschriften und griffige Massnahmen verfügen. Dies zumindest dann, wenn von den Behörden gegenüber Eigentümern jede mögliche und auch unmögliche Regelung rigide durchgezogen wird. Geht es um den Schutz des Eigentums vor Beschädigung, gelten tolerantere Massstäbe. Am 1. Mai und an allen übrigen Tagen.
Markus Meier, Direktor HEV Schweiz